Musee Rodin in Paris

Zwei Jahre später besuchte der Autor das Musée Rodin in Paris und somit besprechen wir nun die Plastiken „der Denker“, danach „La Martyre“. Eine  Abbildung der beiden Figuren – verwendbar für eine erste skizzenhafte Vorstellung von dem, was wir hier besprechen – kann im Internet gefunden werden. Die Figur „der Denker“ wird häufig zitiert in verschiedenen Medien, die dahinter stehende Aussage wird allerdings nicht erwähnt oder erklärt. Dabei ist es nicht sehr aufwendig, das Werk korrekt zu deuten. 

Also: Wir sehen einen athletischen Mann mit ausgebildeten Muskeln, einen Sportler. Er ist unbekleidet und sitzt auf einem Podest und grübelt angestrengt. Wir vermuten, dass die Figur über grundlegende Sachverhalte nachdenkt – frei nach dem Motto, wer unter großem Aufwand eine Lösung nicht findet, wird durch größere Anstrengungen schon noch dahinter kommen. Der Denker muss ja zu einem starken Ergebnis kommen, wird diese Statue doch häufig gezeigt und abgebildet.

Irgendwie entspricht diese einfache Interpretation bereits ein wenig den Tatsachen, aber noch nicht ganz: Welche Befindlichkeit hat dieser Denker genau?

Das ist so zu beantworten: Zunächst leidet der Abgebildete an Muskulationsproblemen. Dies kann ein Implosionswehrer sofort sehen. Aus unseren Erfahrungen heraus können wir sagen, dass der Mann Schmerzebenen und Schmerzpunkte in sich wimmern spürt. Die Muskeln sind ein stechendes Korsett für ihn. Der Abgebildete versucht Halt zu finden und er möchte nicht von dem Sockel herunter fallen. Der Dargestellte leidet also an Fallgefühlen. Er hält sich fest an virtuellen Griffen, die aber anscheinend keinen Halt bieten.

Sein Denken erfolgt nicht freiwillig. Es ist ein Denken, welches nicht zum Erfolg führt und sich immer um die gleichen Themen dreht. Der Denker sieht, dass seine Probleme schon lange da sind. Und er sieht auch, dass er nicht „greifen“ kann, worum sich seine Gedanken drehen. Sein Denken wird von einem libidösen Verlangen angetrieben, verschafft ihm aber nie das Gefühl der Befriedigung. Er sieht den Berg, auf den er mit seinem Grübeln immer wieder hinauf treibt, um den Stein hinunter rollen zu sehen. Rodin will also nicht erfolgreiches Denken darstellen, sondern erfolgloses Gedanken-Wälzen.

Rodins Martyre

Nehmen wir noch ein weiteres Beispiel: Die Figur „La Martyre“, die auch im Musee Rodin in Paris – übrigens nur ein paar Meter vom Denker entfernt – ausgestellt ist. Es wirkt auf einen wie ein kleiner künstlerischer Meteoriten-Einschlag, den man erleben darf, wenn man diese beiden Figuren hintereinander und auch im richtigen Moment sehen darf.

Auch hier sehen wir eine nackte Person, weiblich diesmal, deren Anatomie aber noch entstellter ist, verzogener jedenfalls, als beim Denker. Die Figur „windet sich“ im Schmerz. Dies ist einer der stärksten Würfe des Bildhauers und wir erklären auch warum: Das Dargestellte steigt sehr tief hinab, und zwar so tief, wie nur irgend möglich – zum tiefsten Implosionsschmerz, den man gerade noch darstellen kann. Die Frau leidet, klar, aber Rodin geht es um das kleine glückliche Gefühl in ihrem Körper. Dieses Glücksgefühl ist mit dem Umstand verbunden, dass die dargestellte Frau zum ersten Mal spürt, dass sie keine Ahnung hat, woher Ihr Schmerz kommt. Und dies ist auch eine Erkenntnis, die in der Zeit zuvor nicht vorhanden war. Eine Erkenntnis, die weniger schmerzhaft ist als das, was vorher an Beklemmung wirkte.

Stellt euch einfach ein Stück Papier vor, das sieben Mal gefaltet wurde und bei dem die siebte Faltung plötzlich geöffnet wird. Dann haben wir noch sechs Faltungen und keine sieben mehr. Sechs ist besser als sieben.

Rodin’s Thema ist folgendes: Das Leid in der Implosionshölle kann so tief gehen, dass der Betroffene keinen Zugang zu der Verschachtelung seines Körpers mehr besitzt. Es gibt keine Gleichung, deren Lösung eine Schwächung bewirkt. Die Denkgleichungen wälzen sich durch die Zeit und wir müssen mit unseren Wehrstrategien vorsichtig umgehen. Die Rodinsche Figur „La Martyre“ erlebt – nicht zum ersten, sondern zum wiederholten Male – dass sich eine Verschachtelung aufgefaltet hat. Dort, wo gleichzeitig Wand und unheilvolle Implosion aneinander rieben, ist plötzlich Antwort. Wenn an einer Stelle im Körper Wand und Implosion nach langer Zeit aufgelöst werden, können wir den Körperpunkt neu nutzen. Wir gebrauchen ihn so, wie wir ihn vor der kaputten Zeit genutzt haben: in voller Funktionalität, aber ohne dass es uns sonderlich auffiele.

Rodin produzierte in einigen Fällen abgeschnittene Korsos statt Abbilder kompletter Körper, also Körper ohne Arme und Beine. Dies kann daher kommen, dass er besondere Ebenen am Ansatz der Füße und Arme darstellen wollte, nämlich die, die den Körper eines Implosionswehrers von seinen Gliedmaßen trennen. Er hat auch oft Finger- und Greifspuren im modellierten Ton erkennbar gelassen. Auch diese rasche Verformung des Materials, geschah nicht aus einer Laune heraus, sondern zeigt, dass er bei seinen Arbeiten immer nur kurzzeitig in diese Tiefen hinein schauen konnte.


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